Lorette Giacometti
HAPPY BIRTHDAY, LIEBE SCHWEIZ!
Wir alle wissen, dass es Tell, Gessler und Winkelried nie gab. Und auch der Rütlischwur, unser Nationalmythos, würde man in der heutigen Sprache wohl als historische Fake-News bezeichnen. Den Faktencheck würde hingegen der 12. September 1848 bestehen – die wahre Geburtsstunde der heutigen Schweiz.
Nach langem Gezanke zwischen liberalen und konservativen Kräften einigten sich unsere Ur-ur-ur-ur-Grossväter auf ein pragmatisch-kompromisshaftes Regelwerk, das die Situation in der Schweiz befrieden sollte. Und das taten sie in unschweizerischer Raschheit: Im Februar 1848 kam die Kommission, welche die BV entwerfen sollte, ein erstes Mal zusammen und schon im Juni 1848 akzeptierte die Tagsatzung die neue Verfassung. Im Sommer wurde in den Kantonen darüber abgestimmt und obwohl die konservativen Kantone nicht wirklich begeistert waren, von der Idee aus einem Staatenbund einen Bundesstaat zu machen, konnte die Tagsatzung die Bundesverfassung am 12. September 1848 für angenommen erklären.
Mit unbändigem Gestaltungswillen wurden kurz darauf u.a. mit der Einführung des Frankens als nationale Währung und der Harmonisierung der Masse und Gewichte die Voraussetzungen für einen nationalen Binnenmarkt geschaffen. Mit dem Gezanke war endlich Schluss und für die Schweiz folgten Jahre des Friedens und des wirtschaftlichen Aufschwungs.
Wir können zu Recht stolz auf die Mitglieder der damaligen Kommission sein; auf die Juristen, die erfahrenen Mitglieder der Kantonsregierungen, die Kaufleute und Offiziere, welche unsere Bundesverfassung entworfen haben. Mit ihrem Gestaltungswillen und ihrem pragmatisch-kompromisshaften Vorgehen sind sie wahre Heldinnen und Helden!
Wenn wir heute über unseren Schweizer Tellerrand blicken, können wir ähnliche Entwicklungen um uns herum beobachten. Auch in Europa wurde gezankt. Etwas später als bei uns in der Schweiz aber umso heftiger. Auch dort wurde nach einem pragmatisch-kompromisshaften Regelwerk gesucht, um Europa zu befrieden. Und auch dort entwickelt sich ein Staatenbund allmählich in einen Bundesstaat.
Das Thema „Europa“ sollte bei uns Schweizerinnen und Schweizern demnach Nostalgie und allenfalls einen Stolz auslösen, wie ihn Eltern bei ihren Kindern verspüren, wenn diese ihre Entwicklungsschritte tun. Anstelle von Nostalgie resp. Verständnis und Stolz, verkam die Europapolitik in der Schweiz aber zur Glaubensfrage. Rationale Diskussionen und pragmatisch-kompromisshafte Lösungen scheinen nicht mehr en vogue zu sein. Lieber verschliessen unsere Entscheidungsträger die Augen vor der Realität: Die Schweiz liegt nunmehr im Herzen der EU und ist mit dieser wirtschaftlich, gesellschaftlich und rechtlich verwoben. Um eine Regelung unserer Beziehungen kommen wir nicht herum. Natürlich könnten wir versuchen, Grönland zu kaufen und uns dorthin umzusiedeln. Vielleicht stünde die Dänische Ministerpräsidentin der Offerte der sympathischen Schweizer ja sogar offen gegenüber.
Realistischer und wünschenswerter wäre es, wenn wir uns unsere Helden und Heldinnen zum Vorbild nehmen und in dieser Frage Mut und Gestaltungswillen zeigen, um konstruktive Diskussionen zu führen, die in tragfähigen, pragmatisch-kompromisshaften Lösungen resultieren, denn dafür steht unser Bundesstaat und dafür steht der 12. September 1848.
Lorette Giacometti
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